Freitag, 24. Januar 2014

Mit Franco Marvulli auf der offenen Rennbahn Oerlikon






Es war ein wunderschöner Herbstnachmittag, als mich der mehrmalige Bahn Schweizer- und Weltmeister  Franco Marvulli auf der offenen Rennbahn Oerlikon begrüsste. Franco kennt mich noch von früher, als Eden-TV-Blödler und ich kenne ihn als Pfadfinder bei „Glanz und Gloria“. Somit waren wir also quitt. In einer schwachen Minute hatte er mal versprochen, mir das Bahnfahren beizubringen. Ein Mann, ein Wort. Ein Midi, viele Worte = Kolumne.

Franco brachte mir das Velo seines Mitbewohners und letztjährigen Schweizermeisters im Punktefahren, Tristan Marguet, in vier Teilen mit: Vorderrad, Hinterrad, Rahmen und eine Kette. Mehr ist da nicht. Beim Bahnvelo gibts keine Gangschaltung, keinen Leerlauf und vor allem -panischer Zalandoschrei - keine BREMSEN!

Franco schlug vor, auf dem Platz innerhalb der Bahn etwas Probe zu fahren. Wir schwangen uns auf die Rennmaschinen und klickten uns in die Pedalen. Von diesem Augenblick an ist man Eins mit dem Bahnrad. Der schlimmste Fehler ist, die Beine hängen zu lassen. Darauf wird man vom Starrlauf ziemlich ruppig hingewiesen. Während ich mich im Schrittempo an das heimtückische Gerät gewöhnte, schwörte mich Routinier Marvulli auf die ersten Testrunden ein. Ziel sei es, auf der blauen Linie zu fahren. Die ist aber ziemlich weit oben an der Steilwandkurve. Wenn ich also nicht mit genügend Speed reinfahre, könne es sein, dass ich an der Wand wegrutsche und stürze. Ich solle in der Wand keine grossen Steuermanöver versuchen und auf keinen Fall aufhören mit pedalieren. „Bleib einfach dicht hinter mir, dann kann dir eigentlich nichts passieren“, meinte Franco, der bis vor kurzem noch über 100 Rennen auf allen fünf Kontinenten pro Saison in die Beine drückte. Jaha, können vor lachen!

In der ersten Runde blieben wir noch unten auf der schwarzen Linie, easy. Dann stiegen wir zur roten Linie, etwas höher. Da brauchte es einiges mehr Power um oben zu bleiben. In der Hälfte der Kurve flüchtete ich mich jeweils feige wieder runter zum sicheren Boden. Dann zog die Menschmaschine Marvulli an und machte sich auf zur blauen Linie. Heiliges Kanonenrohr. Alles oder nichts dachte ich mir und hängte mich an seinen Hintern. Volle Kanne stiegen wir hoch in die Kurve. Jetzt nur nicht nach unten schauen. Reflexmässig wollte ich mein rechtes Bein durchstrecken, um die Kurve stabil zu nehmen und schon katapultierte mich der Starrlauf aus dem Sattel. Das Velo machte einen bösen Schlenker, was mir eimerweise Adrenalin in die Adern trieb, denn durch den Tempoverlust drohte ich jetzt abzuschmieren. Also trat ich wie blöd in die Pedalen und schaffte die Kurve knapp unterhalb der blauen Linie. Gepeitscht vom selbstgebastelten Adrenalinflash jauchzte ich wie ein junger Iltis durch die Gegend. Doch die nächste Steilwand kam schon auf uns zu. Ohne den Beine-hängen-lass-Fehler ging das schon besser, aber ich spürte schon wie die Milchsäure in den Schenkeln am Überkochen war. Wie wild versuchte ich in Marvullis Windschatten zu bleiben, um sicher in den Kurven zu kleben, die er jetzt immer höher ansetzte. Es brannte lichterloh in meinen Muskelfasern und nach ein paar Runden musste ich erschöpft abreissen lassen.

Der Schmerzen nicht genug, forderte mich Franco nun auf, ein 12 Runden Rennen gegen ihn zu fahren. „Damit du mal so richtig an deine Grenzen kommst Midi.“ Ja, vielen Dank Franco. Kurzerhand überredete Platzhirsch Marvulli zwei alte Rennbähnler uns zu helfen. Die beiden sahen aus, als wären sie gerade dem Filmset von Kurt Frühs „Bäckerei Zürrer“ entsprungen. Einer setzte sich auf der Tribüne ins Zeitmesser-Häuschen und der andere stellte sich neben der Bahn hinter die Rundenzählvorrichtung. Wow. Plötzlich fühlte ich mich wie Hugo Koblet, Ferdi Kübler und Fredy Krüger zugleich. Ich kam in den Genuss des seltenen Privilegs, auf dieser absolut geschichtsträchtigen Rennbahn auf Tristan Marguets Velo im absoluten Schneckentempo ein Rennen gegen meinen Helden Franco Marvulli zu fahren. Das sind grosse Momente im Leben eines dürftigen Gesundheitssportlers.

Jeder startete einzeln. Ich zuerst. Marvulli fixierte mein Bike, denn man musste aus dem Stand heraus starten. Ich fuhr los wie ein Irrer und verglühte nach zwei Runden wie ein schlechter Komet am Nachthimmel. Danach rettete ich mich unter konstanten Borderline-Schmerzen durch die Distanz. Als der alte Herr die Glocke zur letzten Runde läutete, gab ich nochmals alles von dem Nichts das ich hatte und schleppte mich in 6:53 ins Ziel. Franco, der mich die ganze Zeit wie ein Groupie anfeuerte, klopfte mir respektvoll auf die Schultern, stieg auf seine schwarze Killermaschine und demütigte mich mit einer Zeit von 5:36. Wohlverstanden hatte er eine 5-stündige Trainingseinheit auf der Strasse hinter sich, die lustigen 12 Runden gegen mich in den Beinen und fuhr am selben Abend noch vier Rennen auf seiner geliebten offenen Rennbahn. Tja, sind eben schon harte Jungs, diese Bähnler. Vielen Dank Franco, für dieses Highlight.



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