Es war ein wunderschöner
Herbstnachmittag, als mich der mehrmalige Bahn Schweizer- und Weltmeister Franco Marvulli auf der offenen Rennbahn
Oerlikon begrüsste. Franco kennt mich noch von früher, als Eden-TV-Blödler und
ich kenne ihn als Pfadfinder bei „Glanz und Gloria“. Somit waren wir also
quitt. In einer schwachen Minute hatte er mal versprochen, mir das Bahnfahren
beizubringen. Ein Mann, ein Wort. Ein Midi, viele Worte = Kolumne.
Franco brachte mir das Velo seines
Mitbewohners und letztjährigen Schweizermeisters im Punktefahren, Tristan
Marguet, in vier Teilen mit: Vorderrad, Hinterrad, Rahmen und eine Kette. Mehr
ist da nicht. Beim Bahnvelo gibts keine Gangschaltung, keinen Leerlauf und vor
allem -panischer Zalandoschrei - keine BREMSEN!
Franco schlug vor, auf dem Platz
innerhalb der Bahn etwas Probe zu fahren. Wir schwangen uns auf die
Rennmaschinen und klickten uns in die Pedalen. Von diesem Augenblick an ist man
Eins mit dem Bahnrad. Der schlimmste Fehler ist, die Beine hängen zu lassen. Darauf
wird man vom Starrlauf ziemlich ruppig hingewiesen. Während ich mich im Schrittempo
an das heimtückische Gerät gewöhnte, schwörte mich Routinier Marvulli auf die
ersten Testrunden ein. Ziel sei es, auf der blauen Linie zu fahren. Die ist
aber ziemlich weit oben an der Steilwandkurve. Wenn ich also nicht mit genügend
Speed reinfahre, könne es sein, dass ich an der Wand wegrutsche und stürze. Ich
solle in der Wand keine grossen Steuermanöver versuchen und auf keinen Fall
aufhören mit pedalieren. „Bleib einfach dicht hinter mir, dann kann dir
eigentlich nichts passieren“, meinte Franco, der bis vor kurzem noch über 100
Rennen auf allen fünf Kontinenten pro Saison in die Beine drückte. Jaha, können
vor lachen!
In der ersten Runde blieben wir noch
unten auf der schwarzen Linie, easy. Dann stiegen wir zur roten Linie, etwas
höher. Da brauchte es einiges mehr Power um oben zu bleiben. In der Hälfte der
Kurve flüchtete ich mich jeweils feige wieder runter zum sicheren Boden. Dann
zog die Menschmaschine Marvulli an und machte sich auf zur blauen Linie. Heiliges
Kanonenrohr. Alles oder nichts dachte ich mir und hängte mich an seinen
Hintern. Volle Kanne stiegen wir hoch in die Kurve. Jetzt nur nicht nach unten
schauen. Reflexmässig wollte ich mein rechtes Bein durchstrecken, um die Kurve
stabil zu nehmen und schon katapultierte mich der Starrlauf aus dem Sattel. Das
Velo machte einen bösen Schlenker, was mir eimerweise Adrenalin in die Adern
trieb, denn durch den Tempoverlust drohte ich jetzt abzuschmieren. Also trat
ich wie blöd in die Pedalen und schaffte die Kurve knapp unterhalb der blauen
Linie. Gepeitscht vom selbstgebastelten Adrenalinflash jauchzte ich wie ein
junger Iltis durch die Gegend. Doch die nächste Steilwand kam schon auf uns zu.
Ohne den Beine-hängen-lass-Fehler ging das schon besser, aber ich spürte schon
wie die Milchsäure in den Schenkeln am Überkochen war. Wie wild versuchte ich in
Marvullis Windschatten zu bleiben, um sicher in den Kurven zu kleben, die er
jetzt immer höher ansetzte. Es brannte lichterloh in meinen Muskelfasern und
nach ein paar Runden musste ich erschöpft abreissen lassen.
Der Schmerzen nicht genug, forderte
mich Franco nun auf, ein 12 Runden Rennen gegen ihn zu fahren. „Damit du mal so
richtig an deine Grenzen kommst Midi.“ Ja, vielen Dank Franco. Kurzerhand
überredete Platzhirsch Marvulli zwei alte Rennbähnler uns zu helfen. Die beiden
sahen aus, als wären sie gerade dem Filmset von Kurt Frühs „Bäckerei Zürrer“
entsprungen. Einer setzte sich auf der Tribüne ins Zeitmesser-Häuschen und der
andere stellte sich neben der Bahn hinter die Rundenzählvorrichtung. Wow. Plötzlich
fühlte ich mich wie Hugo Koblet, Ferdi Kübler und Fredy Krüger zugleich. Ich
kam in den Genuss des seltenen Privilegs, auf dieser absolut geschichtsträchtigen
Rennbahn auf Tristan Marguets Velo im absoluten Schneckentempo ein Rennen gegen
meinen Helden Franco Marvulli zu fahren. Das sind grosse Momente im Leben eines
dürftigen Gesundheitssportlers.
Jeder startete einzeln. Ich zuerst.
Marvulli fixierte mein Bike, denn man musste aus dem Stand heraus starten. Ich
fuhr los wie ein Irrer und verglühte nach zwei Runden wie ein schlechter Komet
am Nachthimmel. Danach rettete ich mich unter konstanten Borderline-Schmerzen
durch die Distanz. Als der alte Herr die Glocke zur letzten Runde läutete, gab
ich nochmals alles von dem Nichts das ich hatte und schleppte mich in 6:53 ins
Ziel. Franco, der mich die ganze Zeit wie ein Groupie anfeuerte, klopfte mir
respektvoll auf die Schultern, stieg auf seine schwarze Killermaschine und
demütigte mich mit einer Zeit von 5:36. Wohlverstanden hatte er eine 5-stündige
Trainingseinheit auf der Strasse hinter sich, die lustigen 12 Runden gegen mich
in den Beinen und fuhr am selben Abend noch vier Rennen auf seiner geliebten
offenen Rennbahn. Tja, sind eben schon harte Jungs, diese Bähnler. Vielen Dank
Franco, für dieses Highlight.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen