Freitag, 24. Januar 2014

Midi brustschwimmt über den Zürisee


Erst im hoffnungslos überfüllten Bus Richtung Strandbad Mythenquai wurde mir klar, wie viele Wasserratten scharf darauf waren, bei der 26. Stadtzürcher Seeüberquerung dabei zu sein. Zumindest für alle „Reiber“ im Bus hatte sich dieser Event schon gelohnt. Obwohl ich früh dran war, hatte sich vor der Kasse des Strandbades Mythenquai schon eine riesige Warteschlange gebildet. Ich ergatterte mir die Startnummer 925. Die Kasse war gerade mal fünf Minuten offen und schon wurden fast tausend Leute reingeschleust. Bitte eine Welle für die MitarbeiterInnen an der Startnummerausgabe, die, wie in einem Bienenstock, emsig die schwimmwütige Menge abfertigten. Zum Schluss sollten es an diesem schönen Mittwoch Nachmittag 8700 Seeüberquerer werden. Hallo? Haben diese Leute alle keinen Job?

Laut Startliste, hatte ich es in die allererste Gruppe geschafft. Mir blieb also rund eine Stunde Zeit, um mir Gedanken darüber zu machen, wie, um Himmels Willen, ich 1500 Meter an einem Stück abreissen sollte. Einem Gespräch zweier Damen entnahm ich, dass sie für die Strecke 45 Minuten benötigen. Das runden wir doch locker auf eine Stunde auf. Eine volle Stunde sollte ich mich über Wasser halten? Noch nie in meinem Leben hielt ich mich überhaupt länger als zehn Minuten im Wasser auf, mit Ausnahme von diesem einen Abend im Alpamare, als im Jod-Sprudelbad meine Badehose spurlos verschwand - aber das ist eine andere Geschichte.

Bevor ich mir den Kopf weiter zermartern konnte, wurde ich von einem Aerobic-Animateur übers Mikrofon aufgefordert am Warm up für die ersten 1800 Schwimmer teilzunehmen. Zu Robbie Williams’ „Candy“ hüpften wir uns alle in eine von Vorfreude gepanschte Euphorie, gegen die ein Rave aus den späten 90er Jahren glatt wie ein ICF-Sonntagsbrunch dahergekommen wäre. Danach war jede Zelle, an jeder Stelle meines Körpers, voll gut drauf.

Doch mein Optimismus wurde jäh gezähmt, als ich im Reglement las, dass jeder Teilnehmer die weisse Badekappe mit der Startnummer drauf tragen MUSS. Das von mir gepostete Pic mit Badekappe, welches ich sobald auf Facebook stellte, ergab Kommentare wie: „Maschinendefekt in der Kondomfabrik.“ Haha..., sehr lustig. Doch jetzt war es an der Zeit offline zu gehen, alle meine Sachen in die Sporttasche zu packen und am aufgeschütteten Strand auf den richtigen Haufen zu werfen. Den Rest meiner Galgenfrist verbrachte ich trinkend an einem Brunnen, weil mich urplötzlich die Angst vor Muskelkrämpfen auf offener See überkam.

Dann ging alles sehr schnell. Die ersten 1800 Überquerer wurden gewassert. Ich mitten drin, als Einziger, sich sträubend, mit einer leichten Rückwärtsbewegung. Doch irgendwann erwischte es auch mich und ich schwamm, wie eine Kaulquappe mit dem Strom, dem Glück entgegen. Das Feld zog sich schnell in die Länge. Wie ichs erwartet hatte, befand ich mich, nach bereits zweihundert Metern, mit einer Hand voll älterer Damen, im hinteren Teil. Mein Kreuz schmerzte, weil ich mit meiner mangelhaften Brustschwimm-Technik, wie eine Banane, mit durchgedrücktem Rücken, im Wasser hing. Als ich mich zum entlastenden Rückenschwumm umkehrte, sah ich am Ufer die zweiten 1000 Schwimmer eintauchen.

Eins war klar: Die Angst vor dem einsamen absaufen im See würde heute wohl kaum aufkommen. Die vielen Leute um mich herum, die alle auch gezwungen waren, diese etwas zu enge weisse Badekappe zu tragen, gaben mir das Gefühl von Einheit und Sicherheit.  Zumal die ganze Kappen-Parade von etlichen Begleitbooten eskortiert wurde. Trotz prächtigen Wetters, blies uns eine fiese Bise stetig kleine Wellen ins Gesicht. Etliche Male schluckte ich deswegen Wasser, musste husten und lenkte die Aufmerksamkeit der Aufpasser und Mitschwimmer auf mich bis mein Keine-Angst-ich-sauf-erst-beim-nächsten-Mal-Blick alle wieder beschwichtigte. Plötzlich wurde die ganze Schwimmerflut aufgehalten, um das Kursschiff „MS Linth“ durch einen Weisse-Badekappen-Kanal passieren zu lassen. Alle Touristen auf dem Schiff jubelten uns zu und wir antworteten mit einem Kampfschrei und anschliessendem Gelächter.

Auf der Hälfte der Strecke machte sich meine panische Wassertrinkerei vor dem Start bemerkbar. Ein erhoffter zusätzlicher Jet-Ski-Antrieb blieb leider aus. Schade. Mittlerweile überholten mich schon die Ersten der dritten Startgruppe, doch ich planschte, so gut es halt ging, meiner Haus-Badi Tiefenbrunnen entgegen, die nach jedem Tratsch mit einem Mitschwimmer ein wenig näher kam. Als ich endlich am Ufer wieder festen Boden unter den Füssen hatte, überkamen mich schon fast heimatliche Gefühle. Meine kleine Tochter begrüsste mich mit einem, wohl von mir vererbten, Hang für Drama: „So schön Papi, dass du überlebt hast!“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen