Erst im hoffnungslos überfüllten Bus
Richtung Strandbad Mythenquai wurde mir klar, wie viele Wasserratten scharf
darauf waren, bei der 26. Stadtzürcher Seeüberquerung dabei zu sein. Zumindest
für alle „Reiber“ im Bus hatte sich dieser Event schon gelohnt. Obwohl ich früh
dran war, hatte sich vor der Kasse des Strandbades Mythenquai schon eine
riesige Warteschlange gebildet. Ich ergatterte mir die Startnummer 925. Die
Kasse war gerade mal fünf Minuten offen und schon wurden fast tausend Leute
reingeschleust. Bitte eine Welle für die MitarbeiterInnen an der
Startnummerausgabe, die, wie in einem Bienenstock, emsig die schwimmwütige
Menge abfertigten. Zum Schluss sollten es an diesem schönen Mittwoch Nachmittag
8700 Seeüberquerer werden. Hallo? Haben diese Leute alle keinen Job?
Laut Startliste, hatte ich es in die
allererste Gruppe geschafft. Mir blieb also rund eine Stunde Zeit, um mir
Gedanken darüber zu machen, wie, um Himmels Willen, ich 1500 Meter an einem
Stück abreissen sollte. Einem Gespräch zweier Damen entnahm ich, dass sie für
die Strecke 45 Minuten benötigen. Das runden wir doch locker auf eine Stunde
auf. Eine volle Stunde sollte ich mich über Wasser halten? Noch nie in meinem
Leben hielt ich mich überhaupt länger als zehn Minuten im Wasser auf, mit Ausnahme
von diesem einen Abend im Alpamare, als im Jod-Sprudelbad meine Badehose
spurlos verschwand - aber das ist eine andere Geschichte.
Bevor ich mir den Kopf weiter
zermartern konnte, wurde ich von einem Aerobic-Animateur übers Mikrofon
aufgefordert am Warm up für die ersten 1800 Schwimmer teilzunehmen. Zu Robbie
Williams’ „Candy“ hüpften wir uns alle in eine von Vorfreude gepanschte
Euphorie, gegen die ein Rave aus den späten 90er Jahren glatt wie ein ICF-Sonntagsbrunch
dahergekommen wäre. Danach war jede Zelle, an jeder Stelle meines Körpers, voll
gut drauf.
Doch mein Optimismus wurde jäh
gezähmt, als ich im Reglement las, dass jeder Teilnehmer die weisse Badekappe
mit der Startnummer drauf tragen MUSS. Das von mir gepostete Pic mit Badekappe,
welches ich sobald auf Facebook stellte, ergab Kommentare wie: „Maschinendefekt
in der Kondomfabrik.“ Haha..., sehr lustig. Doch jetzt war es an der Zeit
offline zu gehen, alle meine Sachen in die Sporttasche zu packen und am
aufgeschütteten Strand auf den richtigen Haufen zu werfen. Den Rest meiner
Galgenfrist verbrachte ich trinkend an einem Brunnen, weil mich urplötzlich die
Angst vor Muskelkrämpfen auf offener See überkam.
Dann ging alles sehr schnell. Die
ersten 1800 Überquerer wurden gewassert. Ich mitten drin, als Einziger, sich
sträubend, mit einer leichten Rückwärtsbewegung. Doch irgendwann erwischte es
auch mich und ich schwamm, wie eine Kaulquappe mit dem Strom, dem Glück
entgegen. Das Feld zog sich schnell in die Länge. Wie ichs erwartet hatte,
befand ich mich, nach bereits zweihundert Metern, mit einer Hand voll älterer
Damen, im hinteren Teil. Mein Kreuz schmerzte, weil ich mit meiner mangelhaften
Brustschwimm-Technik, wie eine Banane, mit durchgedrücktem Rücken, im Wasser
hing. Als ich mich zum entlastenden Rückenschwumm umkehrte, sah ich am Ufer die
zweiten 1000 Schwimmer eintauchen.
Eins war klar: Die Angst vor dem
einsamen absaufen im See würde heute wohl kaum aufkommen. Die vielen Leute um
mich herum, die alle auch gezwungen waren, diese etwas zu enge weisse Badekappe
zu tragen, gaben mir das Gefühl von Einheit und Sicherheit. Zumal die ganze Kappen-Parade von
etlichen Begleitbooten eskortiert wurde. Trotz prächtigen Wetters, blies uns
eine fiese Bise stetig kleine Wellen ins Gesicht. Etliche Male schluckte ich
deswegen Wasser, musste husten und lenkte die Aufmerksamkeit der Aufpasser und
Mitschwimmer auf mich bis mein
Keine-Angst-ich-sauf-erst-beim-nächsten-Mal-Blick alle wieder beschwichtigte. Plötzlich
wurde die ganze Schwimmerflut aufgehalten, um das Kursschiff „MS Linth“ durch
einen Weisse-Badekappen-Kanal passieren zu lassen. Alle Touristen auf dem
Schiff jubelten uns zu und wir antworteten mit einem Kampfschrei und
anschliessendem Gelächter.
Auf der Hälfte der Strecke machte
sich meine panische Wassertrinkerei vor dem Start bemerkbar. Ein erhoffter
zusätzlicher Jet-Ski-Antrieb blieb leider aus. Schade. Mittlerweile überholten
mich schon die Ersten der dritten Startgruppe, doch ich planschte, so gut es
halt ging, meiner Haus-Badi Tiefenbrunnen entgegen, die nach jedem Tratsch mit
einem Mitschwimmer ein wenig näher kam. Als ich endlich am Ufer wieder festen
Boden unter den Füssen hatte, überkamen mich schon fast heimatliche Gefühle. Meine
kleine Tochter begrüsste mich mit einem, wohl von mir vererbten, Hang für
Drama: „So schön Papi, dass du überlebt hast!“
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