Freitag, 24. Januar 2014

Midi auf dem Torrenthorn


Irgendwie hat die Redaktion rausgefunden, dass ich die Sommerferien in meinem wunderschönen Heimatort Albinen im Wallis verbringe. Also suchten mir die Schreibtisch-Sados einfach den höchsten Berg in der Gegend, nämlich das Torrenthorn (3000 M.ü.M.), heraus und beauftragten mich dort rauf zu klettern. Was die Leuchten im Backoffice aber nicht wissen konnten ist,  ich war schon des Öfteren auf dem Torrenthorn. Ha...! Das letzte Mal vor genau, warten sie mal, da muss ich jetzt kurz rechnen, äh, mein Gott - vor ziemlich genau 20 Jahren. Tja, was solls? Der Berg wird in dieser Zeit wohl kaum gewachsen sein, ganz im Gegenteil zu meiner Körpermitte. Hmpf...!

Mein primäres Problem war aber gar nicht mal die Besteigung des Torrenthorns sondern die Tatsache, dass ich mit zwei zwirbligen Kindern und meiner 82-jährigen Mutter in den Bergen war. Die Drei konnten natürlich unmöglich mit auf den Dreitausender. Also brachte ich sie auf der „Rinderhütte“, neben der Bergstation, in einem Bar-Rondell umzäunt von einem elektrischen Kuhdraht unter. Meine Liebsten in dieser Berglandschaft alleine zurück zu lassen gefiel mir nicht aber gab mir einen enormen Antrieb, die 700 Höhenmeter so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.

Auf der Wanderweg-Tafel war die Strecke mit 2 Stunden taxiert. Ich setzte mir das Ziel das Ding, wie vor 20 Jahren, in einer Stunde zu meistern. Im Dorf unten lachte sie mich aus als ich erzählte, dass ich „schnell“ aufs Torrenthorn wolle. „Ihär hüärä Grüezini wällt immer alles schnäll-schnäll machu.“, hiess es. Man prognostizierte mir mindestens 1,5 Stunden Wanderzeit. Na wenn das nicht genug Ansporn war um das letzte Quentchen Energie aus meinem minimal durchtrainierten und von Völlerei geplagten Körper zu prügeln.

Nach einer überschwenglichen Verabschiedung von meiner Familie, drückte ich „Go“ auf meiner Handy-Stoppuhr und joggte topmotiviert den Wanderweg hoch. Nach 30 Sekunden entschied ich mich, statt zu joggen, einfach schnell zu gehen, denn Beides ergab etwa die selbe Geschwindigkeit. Nach weiteren 30 Sekunden entschied ich mich von „schnellem Gehen“ in „einfaches Wandern“ zu wechseln, was eher meinem Alter entsprach. Ich trug Shorts, Turnschuhe, ein Poloshirt und eine Trainerjacke, die ich aber ziemlich bald auszog weil die Sonne ziemlich niederbrannte. Ich hatte keinen Rucksack, keine Trinkflasche, rein gar keinen Ballast, der mich an einer Spitzenzeit hindern konnte. Im Vorfeld der Wanderung ging ich extra nicht aufs Klo um so, wie die Kamele in der Wüste, Feuchtigkeit in meinem Höcker als Reserve aufzubewahren.  Clever nicht?

Nach 20 Minuten befand ich mich erst am Ende der obersten Skilifte des Torrent-Gebiets angelangt. Ich schleppte mich weiter den Berg hoch. Mein Puls und meine Atemkadenz waren am oberen Anschlag und jetzt wurde es erst richtig steil. Ich fühlte deutlich, dass mir der Saft in den Beinen fehlte, dafür hatte ich genug in der Blase. Irgendwie klappte meine Kamel-Höcker-Methode nicht. Keuchend und mit Druck auf der Blase stieg ich weiter hinauf. In der Zwischenzeit war ich auf dem Gratweg angelangt. Hier gabs keine Möglichkeit schnell Wasser zu lassen, da stetig andere Wanderer vom Berg abstiegen. Das Terrain wechselte jetzt von Gras zu Geröll. Es wurde noch steiler. Der Schweiss schoss mir aus den Poren, was in meinem Körper eine Aufwärts-Saugbewegung bewirkt haben muss, denn mein Klo-Drang war plötzlich weg.

Wie im Wahn stieg ich unter grässlichen Schmerzen höher und höher. Links und rechts vom Grat gings steil abwärts und ich lief hier am Limit zwischen Spontanschwindel und Laktat-Husten-Elend durch die Gegend. Ich glaube, meine Familie da unten sollte sich eher Sorgen um mich machen als ich um sie. Als ich endlich den Schafsberg erreicht hatte gings eine weite Geröllfläche hoch zum Torrenthorn. Da sah ich vor mir ein Gruppe Sport-Wanderer. Im totalen Verfolgungswahn holte ich die Posse bald ein. Wie sich herausstellte waren es keine durchtrainierte Berg-Rambos sondern nur eine holländische Familie. Hallo?! Wie wenig Würde muss man in sich haben, wenn man darauf stolz ist, hier eine Familie zu überholen die aus einem Land kommt wo’s null Berge hat? Als ich genüsslich schnaubend an ihnen vorbeizog, merkte ich wie sich der älteste Teenager-Sohn an meine Fersen heftete. Verdammt. Das könnte hier wirklich noch hässlich enden für mich, wenn ich in meiner Kolumne schreiben müsste, dass ich kurz vor dem Gipfel meines Hausbergs noch von einem pickligen, unerfahrenen Niederländer gedemütigt wurde. Ich weiss ja nicht wie, aber der Gedanke genau das hier schreiben zu müssen, zündete bei mir den Nachbrenner. Ich rannte jetzt die letzten 300 Meter zum Gipfel hoch. Wie ein Besessener kramte ich meine Handy-Stoppuhr hervor: 55 Minuten! Wahnsinn! Neuer Rekord – und das in meinem biblischen Alter. In dieser Gipfelsturm-Euphorie, schrieb ich meiner Mutter eine SMS und rannte den ganzen weiten Weg wieder runter. Nonstop. Nach 35 Minuten Down-Hill in den Beinen war ich wieder lebend in der Rinderhütte angekommen. Die Familie war wieder vereint und das war gut so. Nur hatte ich in den folgenden Tagen einen Muskelkater, dass mir bei jedem verdammten Schritt schlecht wurde.




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