Freitag, 24. Januar 2014

Midi im „Ballet for everyone“


Als ich mich in der Umkleide der poshen Villa Egli  in mein improvisiertes Ballett-Tenue stürzte, glaubte ich der Einzige zu sein, der sich an diesem kalten Januarmorgen in Grazie zu üben versucht. Aber weit gefehlt. Als ich um die Ecke kam, sassen da bestimmt 25 weitere Insassen, die mich alle anstarrten, als hätte Veronique, la Ballettlehrerin, im Vorfeld erzählt, dass da noch so ein linkischer Journi von so einem Sportblatt reinschneien wird. Diesen Blick kenne ich nur zu gut. Das ist der Aber-schreib-ja-keinen-Mist-über-mich-Blick. Ja, ja, ich liebe euch auch.

Diszipliniert lagen alle auf je einer blauen Yogamatte. Ein Platz war noch frei. Vorne. In der Mitte. Direkt vor Veronique. Also sozusagen die „Rookie-Manege“, zur Belustigung der gemeinen Ballett-Gemeinde. Aber nicht mit mir Leute. Nicht an einem Montagmorgen. Nicht in der Ballettklasse und schon gar nicht mit einer fortgeschrittenen Hinterkopfglatze. Augenwinklig erhaschte ich mit erstarrter Panik-Pupille noch eine Matte ganz hinten in der Ecke. Zielstrebig steuerte ich darauf zu und brachte mich in Sicherheit. Die Klasse reagierte mit Gelächter. Prima, den Klassentrottel hatte ich schon mal gebucht. Veronique quittierte die Aktion mit: „Ich sehe dich auch dort hinten.“ Und ich retournierte mit einem: „Und ich sehe dich auch von hier hinten.“ Tja, Schlagfertigkeit klingt anders, aber was solls, die Tatsache, dass ich eine volle Stunde Ballett vor mir hatte, überschattete diese kleine Pein bei Weitem.

Als ich so auf dem Rücken lag, Aufwärmübungen machend, fiel mir erst auf, in was für einer exquisiten Lokalität ich mich hier zum Affen machen durfte. Die Villa Egli ist ein Prachtbau im englischen Landhausstil. Ich wähnte mich im Museum. Parkettboden, Cheminée, Holzverkleidung, Fresco, Stukkatur und ich in meinen Snowboard-Thermo-Kniesocken, die ich, wie Jennifer Beals in „Flashdance“, bis zu den Knöcheln runtergeschoben hatte. Bravo. Der unterqualifizierteste Ballettänzer der Nation trainiert im überqualifiziertesten Proberaum der Schweiz. Welch Spagat.

Beim Warm-up wurde mir schnell klar, dass ich hier nicht in den Ferien auf dem Ponyhof war. Veronique legte eine imense Energie an den Tag, als sie uns die Übungen vormachte. Ich stand unter Beobachtung, da ich ja der Neue war, der sich nach Hinten verkrochen hatte. Auf keinen Fall wollte ich Madame enttäuschen und drückte im Sekundentakt meine Hüftgegend gen Himmel und zurück, streckte Beinchen und Füsschen bis zum geht nicht mehr und versuchte dabei niemanden zu verletzen. Meine Füsse wurden heiss wie Lava. Diese verdammten Thermo-Socken waren keine gute Idee.

Nun suchte sich jeder einen Platz an der Stange. Ich platzierte mich zwischen einer jungen Ballerina mit Dutt und einer schwarzhaarigen Dame mit zahlreichen Tattoos und roten, langen Fingernägeln. Wohl eine Burlesque-Tänzerin im Haltungsturnen. Ausser mir hatten sich noch drei andere Herren in diese Klasse verirrt. Doch die bewegten sich geschmeidig und waren passend gekleidet. Ich war weit weg von geschmeidig. Meine Bewegunsstruktur war eher eckig und vor allem unberechenbar. In den ausgebeulten Baumwollklamotten samt Snowboard-Socken wirkte ich wie der besoffene Dorfplatz-Punk bei der Jungbürgerfeier an dem alle angestrengt vorbeizuschauen versuchten. Alle ausser Veronique, die hatte mich stets im Auge und korrigierte des öfteren meine Nussgipfelhaltung.

Nach allen Regeln der Kunst versuchte ich mitzuhalten und den Bewungsabläufen irgendwie zu folgen. Mein männliches Körpergefühl wurde durch das Konstruieren dieser doch eher weiblichen Tanzkombinationen stark untergraben. Immer wenn ich dachte, eine Übung mit Bravour nachgemacht zu haben, reichte ein Blick in den Spiegel um zu wissen, dass meine subjektive Wahrnehmung etwas Prügel vertragen könnte. Ich ging mit geradem Rücken in die Knie, hob mein Bein so hoch ich konnte, streckte meine Füsse durch bis sie krampften, hob meinen Arm in alter „Da Vinci-Gemälde-Manier“ und versuchte der Aussenwelt, trotz grosser körperlicher Schmerzen, ein Mona-Lisa-Lächeln vorzugauckeln.

Die schöne Veronique liess uns zu Klavierklängen in den Tag hineintanzen. Alle Bewegungsabläufe hatten französische Namen wie „Pas de deux“ und „Grand-plié“ und wenn Veronique diese Ausdrücke mit einer frankophilen Strenge und Dringlichkeit in den Raum hinauspeitschte, entwickelte sie durchaus stattliche Drill-Seargeant-Qualitäten, die mir in jeglicher Hinsicht alles abverlangten, was ich an tänzerischer Hingabe zu bieten hatte – doch das war nicht genug. Es war ziemlich weit weg von „genug“. Oder wie es Michael Douglas in „A Chorus Line“ zu sagen pflegte: „Danke, wir rufen sie an.“ 

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