Als ich mich in der Umkleide der
poshen Villa Egli in mein
improvisiertes Ballett-Tenue stürzte, glaubte ich der Einzige zu sein, der sich
an diesem kalten Januarmorgen in Grazie zu üben versucht. Aber weit gefehlt.
Als ich um die Ecke kam, sassen da bestimmt 25 weitere Insassen, die mich alle
anstarrten, als hätte Veronique, la Ballettlehrerin, im Vorfeld erzählt, dass da
noch so ein linkischer Journi von so einem Sportblatt reinschneien wird. Diesen
Blick kenne ich nur zu gut. Das ist der
Aber-schreib-ja-keinen-Mist-über-mich-Blick. Ja, ja, ich liebe euch auch.
Diszipliniert lagen alle auf je einer
blauen Yogamatte. Ein Platz war noch frei. Vorne. In der Mitte. Direkt vor
Veronique. Also sozusagen die „Rookie-Manege“, zur Belustigung der gemeinen
Ballett-Gemeinde. Aber nicht mit mir Leute. Nicht an einem Montagmorgen. Nicht
in der Ballettklasse und schon gar nicht mit einer fortgeschrittenen
Hinterkopfglatze. Augenwinklig erhaschte ich mit erstarrter Panik-Pupille noch
eine Matte ganz hinten in der Ecke. Zielstrebig steuerte ich darauf zu und
brachte mich in Sicherheit. Die Klasse reagierte mit Gelächter. Prima, den
Klassentrottel hatte ich schon mal gebucht. Veronique quittierte die Aktion
mit: „Ich sehe dich auch dort hinten.“ Und ich retournierte mit einem: „Und ich
sehe dich auch von hier hinten.“ Tja, Schlagfertigkeit klingt anders, aber was
solls, die Tatsache, dass ich eine volle Stunde Ballett vor mir hatte,
überschattete diese kleine Pein bei Weitem.
Als ich so auf dem Rücken lag,
Aufwärmübungen machend, fiel mir erst auf, in was für einer exquisiten
Lokalität ich mich hier zum Affen machen durfte. Die Villa Egli ist ein Prachtbau
im englischen Landhausstil. Ich wähnte mich im Museum. Parkettboden, Cheminée,
Holzverkleidung, Fresco, Stukkatur und ich in meinen
Snowboard-Thermo-Kniesocken, die ich, wie Jennifer Beals in „Flashdance“, bis
zu den Knöcheln runtergeschoben hatte. Bravo. Der unterqualifizierteste
Ballettänzer der Nation trainiert im überqualifiziertesten Proberaum der
Schweiz. Welch Spagat.
Beim Warm-up wurde mir schnell klar,
dass ich hier nicht in den Ferien auf dem Ponyhof war. Veronique legte eine
imense Energie an den Tag, als sie uns die Übungen vormachte. Ich stand unter
Beobachtung, da ich ja der Neue war, der sich nach Hinten verkrochen hatte. Auf
keinen Fall wollte ich Madame enttäuschen und drückte im Sekundentakt meine Hüftgegend
gen Himmel und zurück, streckte Beinchen und Füsschen bis zum geht nicht mehr
und versuchte dabei niemanden zu verletzen. Meine Füsse wurden heiss wie Lava.
Diese verdammten Thermo-Socken waren keine gute Idee.
Nun suchte sich jeder einen Platz an
der Stange. Ich platzierte mich zwischen einer jungen Ballerina mit Dutt und
einer schwarzhaarigen Dame mit zahlreichen Tattoos und roten, langen
Fingernägeln. Wohl eine Burlesque-Tänzerin im Haltungsturnen. Ausser mir hatten
sich noch drei andere Herren in diese Klasse verirrt. Doch die bewegten sich
geschmeidig und waren passend gekleidet. Ich war weit weg von geschmeidig. Meine
Bewegunsstruktur war eher eckig und vor allem unberechenbar. In den ausgebeulten
Baumwollklamotten samt Snowboard-Socken wirkte ich wie der besoffene
Dorfplatz-Punk bei der Jungbürgerfeier an dem alle angestrengt vorbeizuschauen
versuchten. Alle ausser Veronique, die hatte mich stets im Auge und korrigierte
des öfteren meine Nussgipfelhaltung.
Nach allen Regeln der Kunst versuchte
ich mitzuhalten und den Bewungsabläufen irgendwie zu folgen. Mein männliches
Körpergefühl wurde durch das Konstruieren dieser doch eher weiblichen
Tanzkombinationen stark untergraben. Immer wenn ich dachte, eine Übung mit
Bravour nachgemacht zu haben, reichte ein Blick in den Spiegel um zu wissen,
dass meine subjektive Wahrnehmung etwas Prügel vertragen könnte. Ich ging mit
geradem Rücken in die Knie, hob mein Bein so hoch ich konnte, streckte meine
Füsse durch bis sie krampften, hob meinen Arm in alter „Da
Vinci-Gemälde-Manier“ und versuchte der Aussenwelt, trotz grosser körperlicher
Schmerzen, ein Mona-Lisa-Lächeln vorzugauckeln.
Die schöne Veronique liess uns zu
Klavierklängen in den Tag hineintanzen. Alle Bewegungsabläufe hatten
französische Namen wie „Pas de deux“ und „Grand-plié“ und wenn Veronique diese
Ausdrücke mit einer frankophilen Strenge und Dringlichkeit in den Raum
hinauspeitschte, entwickelte sie durchaus stattliche Drill-Seargeant-Qualitäten,
die mir in jeglicher Hinsicht alles abverlangten, was ich an tänzerischer Hingabe
zu bieten hatte – doch das war nicht genug. Es war ziemlich weit weg von „genug“.
Oder wie es Michael Douglas in „A Chorus Line“ zu sagen pflegte: „Danke, wir
rufen sie an.“
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