Freitag, 24. Januar 2014

Midi beim Sight Jogging


Stellen Sie sich vor, Sie joggen eine Stunde lang durch die Stadt und während der ganzen Zeit quatscht ihnen Einer die Birne voll.

Mit dieser Erwartungshaltung ging ich zu meinem, von der „FIT for LIFE“ Redaktion auferlegten, „Pflichttermin“, dem Sight Jogging. Statt in einem gemütlichen Doppeldecker-Bus durch die Stadt gekarrt zu werden, muss man beim Sight Jogging, wie es der Name schon leicht verrät, selber durch die Strassen rennen.

Robert Peterhans winkte mir am Bürkliplatz zu. So also sah mein „Geschichtslehrer“ für heute aus. Typ frühherbstlicher Robert Redford in stilvollen Running-Klamotten und leuchtgelben Laufschuhen. Noch bevor wir losjoggten erklärte mir Robert, dass der Bürkliplatz Ende des neunzehnten Jahrhunderts unter der Leitung des damaligen Stadtingenieurs Arnold Bürkli aufgeschüttet wurde und ursprünglich als „Bundesplatz“ für einen möglichen Bundespalast gedacht war. Wie wir jedoch alle wissen, wurde das Bundeshaus schlussendlich in Bern gebaut und die Zürcher kriegten als Trostpflaster die Nationalbank. Seit 44 Jahren lebe ich schon in dieser Stadt und hatte bis jetzt keinen blassen Schimmer davon. Robert besass ab jetzt meine volle Aufmerksamkeit.

Als erstes liefen wir rauf zum Lindenhof. Während dem kurzen aber nahrhaften Uphill bewies Robert, dass er die Disziplin „Small-Talk mit hohem Puls“ perfekt beherrschte, denn er liess einfach mich reden. Oben angekommen wollte ich wissen, ob den „Kunden“ beim Aufstieg labern zu lassen seine Strategie sei. Er meinte, er habe keine Strategie und ich antwortete: „Das ist die beste Strategie.“ Robert musste lachen, verwandelte sich aber sogleich wieder in einen pflichtbewussten Tour-Guide.

Nachdem ich erfuhr, dass der Lindenhof das kleinste Quartier der Stadt Zürich ist, liefen wir durch kleine Gässchen, die mir völlig neu waren, über den Schanzengraben (früher eine militärische Verteidigungs-anlage, wer hätte das für möglich gehalten?) Richtung Kasernenareal in den Kreis 4. Dieser Abstecher kam für mich völlig unerwartet, denn Sehenswürdigkeiten hätte ich grösstenteils in der Altstadt vermutet. Mitten im gammligen Chreis Cheib zeigte mir Robert den Labyrinthplatz, welcher 1991 von zwei Frauen ins Leben gerufen wurde und jedes Jahr als Gemeinschaftswerk neu gestaltet wird. Eine grüne Ruhe-Oase umringt von Millieu-Clubs und Szene-Bars. Nach gehörigem Konsum der Minusdezibelkullisse machten wir uns auf zum Hotel Greulich.

Da ich in Zürich superselten in Hotels absteige, war mir das Greulich fremd. Schade, denn nur als Gast des Hotels geniesst man den Blick auf den Innenhof in Form eines Birkenhains, eine Installation, die von der Expo 01 geerbt wurde. Da ich aber den Robert kenne und der die Hotelchefin kennt und Madame auch zufällig in der Lobby stand, erlaubte sie uns höchstpersönlich, den Hof zu besichtigen. Es war schon seltsam, als staunender Tourist in „meiner“ Stadt mit offenem Mund in einem Hinterhof herumzustolpern. Zwischen den in gleichmässigen Abständen angesiedelten Birken, fühlte ich mich wie in einer abartigen Tag-Traumsequenz. Gerade als mein Puls sich langsam zu senken begann, gings weiter auf dem Stadtparcours. Die Strecke war gut vorbereitet und führte über Brücken und durch Unterführungen. Erstaunlich wenig Rote Ampeln hemmten unseren Lauffluss.

Auf dem Schlussspurt kamen wir am Bahnhof Wiedikon vorbei, welcher übrigens der einzige Reiterbahnhof in der ganzen Schweiz ist. Was? Sie wissen nicht was ein Reiterbahnhof ist? Ha...! Ich eben schon (Ätschipäätsch!) ,denn beim Sight Jogging lernt man nicht nur das, sondern auch, dass der Beat Schlatter der Namensgeber der Marke „Aqui“ ist, welches als Mineralwasser auf dem Hürlimann Areal raussprudelt und somit die letzte Station in unserem Züri-Rundlauf darstellte.

Nach rund einer Stunde waren wir wieder zurück auf dem Bürkliplatz. Und ich war nicht mal müde. Der stetige Informationfluss hat mich so stark abgelenkt, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie weit ich in dieser Zeit gerannt bin. Respekt Robert Peterhans. Du hast es geschafft, einen faulen Sack wie mich durch die ganze Stadt zu hetzen, ohne dass ich mich dabei gehetzt fühlte. Das hat bis jetzt noch keiner geschafft. Das nenne ich doch soziale Kompetenz, gepaart mit Konversationsgenius, konzentriert auf ein träges Opfer unserer Wohlstandsgesellschaft – mich.

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