Stellen Sie sich vor, Sie joggen eine Stunde lang
durch die Stadt und während der ganzen Zeit quatscht ihnen Einer die Birne
voll.
Mit dieser Erwartungshaltung ging ich zu meinem, von
der „FIT for LIFE“ Redaktion auferlegten, „Pflichttermin“, dem Sight Jogging.
Statt in einem gemütlichen Doppeldecker-Bus durch die Stadt gekarrt zu werden,
muss man beim Sight Jogging, wie es der Name schon leicht verrät, selber durch
die Strassen rennen.
Robert Peterhans winkte mir am Bürkliplatz zu. So also
sah mein „Geschichtslehrer“ für heute aus. Typ frühherbstlicher Robert Redford
in stilvollen Running-Klamotten und leuchtgelben Laufschuhen. Noch bevor wir
losjoggten erklärte mir Robert, dass der Bürkliplatz Ende des neunzehnten
Jahrhunderts unter der Leitung des damaligen Stadtingenieurs Arnold Bürkli
aufgeschüttet wurde und ursprünglich als „Bundesplatz“ für einen möglichen
Bundespalast gedacht war. Wie wir jedoch alle wissen, wurde das Bundeshaus
schlussendlich in Bern gebaut und die Zürcher kriegten als Trostpflaster die
Nationalbank. Seit 44 Jahren lebe ich schon in dieser Stadt und hatte bis jetzt
keinen blassen Schimmer davon. Robert besass ab jetzt meine volle
Aufmerksamkeit.
Als erstes liefen wir rauf zum Lindenhof. Während dem
kurzen aber nahrhaften Uphill bewies Robert, dass er die Disziplin „Small-Talk
mit hohem Puls“ perfekt beherrschte, denn er liess einfach mich reden. Oben
angekommen wollte ich wissen, ob den „Kunden“ beim Aufstieg labern zu lassen
seine Strategie sei. Er meinte, er habe keine Strategie und ich antwortete:
„Das ist die beste Strategie.“ Robert musste lachen, verwandelte sich aber
sogleich wieder in einen pflichtbewussten Tour-Guide.
Nachdem ich erfuhr, dass der Lindenhof das kleinste
Quartier der Stadt Zürich ist, liefen wir durch kleine Gässchen, die mir völlig
neu waren, über den Schanzengraben (früher eine militärische
Verteidigungs-anlage, wer hätte das für möglich gehalten?) Richtung
Kasernenareal in den Kreis 4. Dieser Abstecher kam für mich völlig unerwartet,
denn Sehenswürdigkeiten hätte ich grösstenteils in der Altstadt vermutet.
Mitten im gammligen Chreis Cheib zeigte mir Robert den Labyrinthplatz, welcher
1991 von zwei Frauen ins Leben gerufen wurde und jedes Jahr als
Gemeinschaftswerk neu gestaltet wird. Eine grüne Ruhe-Oase umringt von
Millieu-Clubs und Szene-Bars. Nach gehörigem Konsum der Minusdezibelkullisse
machten wir uns auf zum Hotel Greulich.
Da ich in Zürich superselten in Hotels absteige, war
mir das Greulich fremd. Schade, denn nur als Gast des Hotels geniesst man den
Blick auf den Innenhof in Form eines Birkenhains, eine Installation, die von
der Expo 01 geerbt wurde. Da ich aber den Robert kenne und der die Hotelchefin
kennt und Madame auch zufällig in der Lobby stand, erlaubte sie uns
höchstpersönlich, den Hof zu besichtigen. Es war schon seltsam, als staunender
Tourist in „meiner“ Stadt mit offenem Mund in einem Hinterhof herumzustolpern.
Zwischen den in gleichmässigen Abständen angesiedelten Birken, fühlte ich mich
wie in einer abartigen Tag-Traumsequenz. Gerade als mein Puls sich langsam zu
senken begann, gings weiter auf dem Stadtparcours. Die Strecke war gut
vorbereitet und führte über Brücken und durch Unterführungen. Erstaunlich wenig
Rote Ampeln hemmten unseren Lauffluss.
Auf dem Schlussspurt kamen wir am Bahnhof Wiedikon
vorbei, welcher übrigens der einzige Reiterbahnhof in der ganzen Schweiz ist.
Was? Sie wissen nicht was ein Reiterbahnhof ist? Ha...! Ich eben schon
(Ätschipäätsch!) ,denn beim Sight Jogging lernt man nicht nur das, sondern
auch, dass der Beat Schlatter der Namensgeber der Marke „Aqui“ ist, welches als
Mineralwasser auf dem Hürlimann Areal raussprudelt und somit die letzte Station
in unserem Züri-Rundlauf darstellte.
Nach rund einer Stunde waren wir wieder zurück auf dem
Bürkliplatz. Und ich war nicht mal müde. Der stetige Informationfluss hat mich
so stark abgelenkt, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie weit ich in dieser Zeit
gerannt bin. Respekt Robert Peterhans. Du hast es geschafft, einen faulen Sack
wie mich durch die ganze Stadt zu hetzen, ohne dass ich mich dabei gehetzt
fühlte. Das hat bis jetzt noch keiner geschafft. Das nenne ich doch soziale
Kompetenz, gepaart mit Konversationsgenius, konzentriert auf ein träges Opfer
unserer Wohlstandsgesellschaft – mich.
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