Freitag, 24. Januar 2014

Fremdschäm-Eldorado in der Linthebene


„Bist du schon mal mit Rollskis gefahren!“, fragte mich Dani Grab vom Nordic Ski Langlaufcenter  Schindelegi. Ich verneinte mit leicht verkniffener Mine. „Aber du machst doch bestimmt Langlauf, oder?“, doppelte er nach. Ich hob die Augenbrauen: „Äh, auch nicht.“ Danis Lächeln machte einem besorgten Ausdruck Platz. Das war wohl ein schlechtes Zeichen für meine gesundheitliche Zukunft. Grund genug um Rollski-Crack Bruno Bricker aufzufordern, mir kurz vor dem Start noch einen kleinen Crash-Kurs zu verpassen. Gutmensch Bruno sagte lächelnd zu.

Okay, was nun? Ach ja, meine Kinder hingen mir mit einem „Papi-mir-händ-Durst“-Endlosschlaufe in den Ohren. „Nicht jetzt Kinder.“ Der gute Dani drückte mir ein Paar Rollskis samt Schuhen, Schoner-Set und Stöcken auf die Brust. Ich stand da wie einer, der bei der Quartierfest-Tombola den Flug für zwei Personen nach New York nur knapp verpasst hatte. Als Mutmacher offerierte mir Dani eine Prise Schnupftabak auf seinem Handrücken. Ich winkte ab: „Nein danke, ich muss erst noch den Heroinkater von gestern abklingen lassen. Vielleicht im nächsten Leben.“ Unter diesen Umständen, könnte das ja schon bald sein.

Im Festzelt auf dem Fussballplatz von Tuggen Schwyz, bewässerte ich meine Kids mit etwas Eistee, was einen fiesen Angriff der lokalen Wespen-Gang zur Folge hatte. Unser mühsam aufgebauter Zürcher Coolness-Faktor sank drastisch und sollte bald ein Rekordtief verzeichnen.

Mit dem Scharfsinn eines Primaten, schaffte ich es nach gefühlten 3 Stunden die vollständige Rollski-Ausrüstung über meinen Körper zu stülpen. Auf dem noch leeren Start/Ziel-Bereich half mir Bruno in die Skibindung und zeigte mir wie man die Skistöcke einschlauft. Ab jetzt war bei mir alles wacklig und tolpatschig. Nur schon die Startnummer „230“, an meine Brust zu heften, wurde zur unfreiwilligen Comedynummer - und ich war noch keinen Zentimeter gefahren. Meine ersten „Gehversuche“ gipfelten in unzähligen Faststürzen. Meine Kinder kicherten am Pistenrand wie Hyänen. Besässe ich mehr Geld, hätte ich sie an Ort und Stelle enterbt - aber eben, ich war alt und brauchte die Kohle.

Bruno fuhr neben mir her und beobachtete mein Getorkel mit Sorge. Mit der Geduld und Entschlossenheit eines Profis, zeigte er mir in kurzer Zeit, wie man mit dem „Stemmbogen“ bremsen kann und so die Abfahrt vor dem Ziel meistert. Er riet mir keine gestreckten Beine zu machen und stets leichte Vorlage zu geben um zu verhindern rücklings auf dem Steissbein zu landen. Okay. Sowas nennt man wohl eine Last-Minute Schadensbegrenzung. Aber würde das reichen um mir nicht das Genick zu brechen?

Plötzlich knallte uns Dani Grab mit einer Pistole den Startschuss um die Ohren. Alle flogen davon. Nur ich kämpfte mit meiner rustikalen Technik gegen unfreiwilligen Bodenkontakt und sah dabei aus wie Quasimodo auf Rädern. Ich war so langsam, dass ich die Kommentare aus dem Publikum gut hören konnte: „Was genau macht er da?“, oder „Ui nei, de Arm.“ Im besten Fall hiess es: „Das git sicher wieder ä geili Kolumne.“ Meine Kinder lernten spätestens jetzt, was fremdschämen bedeutet.

Ich stolperte mich allmählich in einen Skate-Schritt hinein, gewann etwas an Fahrt und fuhr in der ersten Kurve dem dort postierten Sicherheitsmann entgegen. Der machte sich schon bereit mich aufzufangen. Doch irgendwie schaffte ich, halb fahrend, halb hüpfend, den Rank. „Gueti Fahrt!“, rief er mir hinterher. In der nächsten Kurve, feierte eine Schar Sportfans eine Grillparty. Bierselig johlten sie mich durch die Kurve. Ich johlte zurück und kämpfte gleichzeitig gegen die heimtückische Flieh- und Schwerkraft-Kombi. Diese Schrecksekunden in spontan auftretender Rücklage, trieben mir den Angstschweiss literweise aus dem schütteren Haaransatz.

Später, auf unbewohntem Gebiet, und somit ohne Zeugen, überholte ich sogar einen Teilnehmer, der offensichtlich von Muskelkrämpfen geplagt zur Seite fuhr und ich war sogar stolz darauf. Wow! Ich würde also nicht als Letzter durchs Ziel gehen. Irgendwann konnte ich diese wunderschöne Strecke durch die Linthebene sogar geniessen. Als ich das Ziel schon vor Augen hatte, überrundete mich mein Rollski-Guru und gleichzeitig einer der besten Volkslangläufer der Nation, Bruno Bricker auf der Zielgeraden. Er machte die 6,4 Kilometer zwei Mal und gewann mit grossem Abstand. Als ich mich dem Zielbereich näherte, schrie der Kommentator: „Und da kommt schon der zweite Fahrer...! Aber nein, das kann nicht sein. Schauen sie sich mal diese Technik an. Das MUSS ein überrundeter Fahrer sein.“ Jaja, schon gut. Doch das hinderte mich nicht daran, auf der Ziellinie euphorisch „Nöd umgheit!“ zu schreien und meine Kinder zu umarmen als wäre ich gerade von einer Weltreise zurückgekehrt.



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