Freitag, 24. Januar 2014

Midi überlebt das Samichlaus-Schwimmen


Ich hasse es zu frieren. Und ich hasse es in Gewässern zu schwimmen, die tiefer als 1,5 Meter sind. Und vor allem, hasse ich es zu sterben. Die Redaktion hatte, nach langer Recherche, eine Aufgabe gefunden, bei der sich alle drei Widrigkeiten vereinen. Ich wurde ans 13. Zürcher Samichlaus-Schwimmen geschickt. Pointentusch...!

Da stand ich also, Schlange stehend, um mir bei starkem Schneetreiben mit 300 anderen aufgekratzten Knackhosen die Kleider vom Leib zu reissen und ein erfrischendes Bad in der Limmat zu nehmen. Zynismus ahoi. Es schneite und ich weinte. Nicht sichtbar aber tief drinnen. 111 Meter schwimmen bei einer Wassertemperatur von 5 Grad. Samichlaus-Schwimmen eben. Vor ein paar Wochen probierte ich es heimlich aus. Bei 10 Grad stieg ich kurz in den Zürichsee um zu testen ob ich diese Qual überhaupt überleben würde. Als ob tausend tiefgefrorene Piranhas meinen Brustkorb zerfressen würden, fühlte es sich an. Und ich schwamm nur mal eben 5 Meter raus. Doch heute war alles noch viel kälter und weiter – und es schneite. Hab ich das schon erwähnt?

Sich mit Melkfett einzureiben oder gar einen Wetsuit zu tragen ist verpönt. Als einzige Wärmequelle fungierte ein 15-minütiger Aufenthalt im Solarium, kurz vor der Ankunft. Ein verzweifelter Versuch, etwas Sonne in meinem Körper rüberzuschmuggeln. Irgendwann schrieb mir jemand mit Filzstift die Nummer 18 auf den linken Handrücken. Das frühe Anstehen hatte sich also gelohnt. Ich startete in der ersten Gruppe. Ich zwängte meine ganzen Klamotten in einen Plastiksack, der danach rübergeschifft wurde. Als wärs das Normalste der Welt, schlenderte ich in der Badehose durch den Schnee rüber zum Flossrestaurant Pier 7, wo sich das erste Rudel unverfrorener Seebären versammelte.

Ich suchte mir fix einen Platz vor einem Heizkörper. Stefan Weiss vom OK drückte mir eine gelb-weisse Samichlaus-Mütze in die Hand. Als wärs ein Kaschmir-Mantel, nahm ich das „Kleidungsstück“ dankend entgegen. Eine These besagt ja, dass man 70 % der Körperwärme über den Kopf verliert. Also kam die Mütze wie gerufen. Ich streifte sie über, wartete gespannt – und fror dann weiter. Diese These ist etwa so haltbar wie ein Liter Milch auf der Heizung.

Wie die Lemminge standen wir in diesem Flossrestaurant und warteten darauf, dass endlich jemand die Schiebetür aufmacht. Die Moral der Truppe war hoch. Waren ja alle freiwillig hier. Nur ich nicht. Ich wurde allmählich manisch panisch. Was, wenn ich hier einfach absaufen würde? Jedoch liess ich mir die aufkeimende Todesangst nicht anmerken und quittierte alle Jubelschreie der schwimmwütigen Meute mit einem gequälten Lächeln. Vom drahtigen Triathleten über das kecke Bikini-Girl bis hin zum molligen Sachbearbeiter stand da alles am Start. Und eben ich, das baldige Fischfutter.

Die Schiebetür ging auf und eisig kalte Luft strömte in den Raum. Jemand schrie: „Türe zu, es zieht!“ Alle lachten laut. Die ersten 20 Teilnehmer durften raus. Da ich mich im hinteren Bereich, bei den Heizungen aufhielt, schaffte ich es nicht in die erste Schicht. Mist. Auf Kommando sprangen die ersten 20 jauchzend ins kalte Nass und schwammen über die Limmat, der Frauenbadi entgegen. Ich schaffte es in die zweite Gruppe und stand bibbernd draussen auf dem Steg. Alle rieben sich den Hals und Oberkörper mit Schnee ein. Also tat ich das auch. Wird wohl wichtig sein, wenns sogar diese Dangerfreaks tun. Ich wollte jetzt einfach nur noch zu dieser Frauenbadi rüber. Wo ist schon so eine Seegfrörni, wenn man mal wirklich eine braucht? Dann hätte ich wenigstens nicht schwimmen müssen.

Jemand schrie „Go!“ und ich sprang, wie von der Tarantel gestochen, ins Wasser. Der Kälteschock war riesig und nahm mir den Atem. Die tiefgefrorenen Piranhas griffen an. Doch dann übernahm Käpt’n Adrenalin das Ruder und ich legte den schnellsten Brustschwumm an den Tag, den die Welt je gesehen hatte. Mein Hirn schaltete auf Not-Strom und der Rest des Körpers kümmerte sich nur noch darum, so schnell wie möglich aus der Todeszone zu kommen. Im Nu war ich an der Spitze der Gruppe. Doch irgendwann teilte mir mein Körper, mittels Herzrasen mit, dass ich hier weit über meine Verhältnisse geschwommen bin. Super. Plötzlich war nicht mehr die Kälte die grösste Gefahr sondern berstende Kapillargefässe. Es geht doch nichts über eine Breitseite Nahtoderfahrungen vor versammelter Menge. Mit Müh und Not schleppte ich mich die letzten paar Meter zur rettenden Treppe. Zitternd stieg ich in meine trockenen Kleider und schaufelte danach, stoisch vor mich hinstarrend, eine lebenserhaltende Gerstensuppe in mich hinein. Für die anderen Teilnehmer wars ein Riesenfest. Doch wie viel Zeit und Therapiestunden würde ich wohl brauchen um irgendwann wieder ins Leben zurück zu finden?



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