Freitag, 24. Januar 2014

Midi auf dem Handbike


Die Vögel zwitscherten als ich am Bahnhof  Nottwil eintraf. Für einen Stadtzürcher ist das schon eine hohe Dosis Idylle die da einem entgegenkommt. Aber ich nahm’s gerne an. Im Paraplegikerzentrum kam Pia Schmid mit dem Rollstuhl  auf mich zu und begrüsste mich herzlich. Irgendwie hatte ich mir dieses Zentrum etwas spitaliger vorgestellt, statt dessen sieht’s hier eher aus wie in einer riesigen, modernen Turnhalle. Pia ist Tetraplegikerin, arbeitet hier als Laborantin  und trainiert in der Freizeit mit dem Handbike und just auf diesem Gerät würde ich heute mit ihr zusammen ein paar Runden drehen.

Als Erstes muss man natürlich mal in so ein Handbike reinsitzen - was für einen Schussel wie mich offenbar eine grosse Herausforderung darstellte. Als ich es endlich geschafft hatte Platz zu nehmen, waren meine weissen Shorts und meine Knie mit Karrenschmiere der Antriebskette bekleckert. Wieso dachte ich bloss, weisse Freizeit-Shorts anzuziehen sei eine gute Idee, wenn man eine Ausfahrt mit einem Bike macht, dessen Antrieb sich in unmittelbarer Nähe der Sitzfläche befindet? Doch das Schwierigste kam erst. Wir befanden uns im Fahrzeugpark des Zentrums und jetzt ging’s darum, das Bike aus dem Gebäude zu zirkeln. Bei diesem Go-Kart-ähnlichen Gefährt hat man ja einen viel geringeren Einschlag als bei einem normalen Velo. Also war ich gezwungen vor und zurück zu fahren. Doch beim rückwärtsfahren dreht die Kurbel natürlich mit. Meine O-Beine wurden unsanft auseinander gedrückt und blockierten jegliche weitere Fortbewegung. Weder hin noch zurück war möglich. Na bravo! Mühsam musste ich nun meine Beine seitlich aus dieser Umklammerung befreien um aussteigen zu können und das Bike in die ursprünglich gewünschten Richtung zu stellen. Pia wartete geduldig bis ich fertig war mit meiner kleinen Clownnummer. „Wen haben sie mir denn da geschickt?“, wird sie vielleicht gedacht haben. Na, den Stuntman von kult.ch eben.

Als wir endlich draussen waren versuchte ich mich mit der Tatsache abzufinden, dass Bremse und Gangschaltung nicht am Lenker selbst, sondern etwas weiter vorne am Rahmen befestigt waren. Beim Schalten oder Bremsen musste man also immer aufpassen, dass man sich nicht in die Finger kurbelt. Bis jetzt war das Ganze hier eher ein Intelligenztest als ein Sport. Doch der Sport liess nicht lange auf sich warten. Schnell wurde mir klar, dass mein „Aufbautraining“ mit durchschnittlich zehn Liegestützen in der Woche deutlich zu wenig Grundlage war um ein Handbike ohne Muskelschmerzen antreiben zu können. Und dabei war Pia zu Beginn noch human, was das Tempo anging. Dafür war ich ihr dankbar, denn ich hatte meine liebe Mühe mit kurbeln. Es stellte sich nämlich heraus, dass meine weit geschnittenen Cargo-Pants nicht nur farblich ein Fehlgriff waren. Immer wieder verhedderte sich die Kurbel in meinen Seitentaschen was nur durch starkes zusammenpressen der Beine verhindert werden konnte. Muskelkrampf ahoi!

Als ich den Dreh endlich raus hatte, machte es richtig Spass mit Pia bei diesem Postkartenwetter am Sempachersee entlang zu cruisen. Wir plauderten und scherzten und bei der hawaiianisch angehauchten Flaniermeile kam bei mir schon fast so was wie Ferienstimmung auf – wäre da nicht dieser fiese Anstieg gewesen. Die Party war vorbei. Kurbelnd und runterschaltend murkste ich schnaubend mein Handbike den Berg hoch während Pia locker neben mir her fuhr und weiterplauderte. Und hier wurde mir erst klar welch enorme Kraft Pia mit den, ihr noch zur Verfügung stehenden aktiven Muskeln, mobilisieren konnte. Paradoxerweise verkrampfte ich mich an diesem Uphill nicht nur in der Brustmuskulatur sondern auch im Gesäss und den Beinen. Vielleicht war das ein Reflex weil ich ja sonst beim bergauffahren die Beine einsetzen muss. Wie auch immer, ich war froh oben anzukommen und wir traversierten rüber auf die Höhe des Paraplegikerzentrums wo’s dann in den Downhill überging.

Pia fuhr voraus und das war gut so, denn ich, als mutiger Downhiller, hätte mich wohl in den Kurven im Tempo verschätzt, denn anders als beim Velo kann man mit dem Handbike nicht in die Kurven liegen. Aber dieses Seifenkisten-Feeling machte einfach Spass und so forderte ich Pia auf gleich noch eine Runde zu machen – und danach machten wir noch eine. Schliesslich legten wir immerhin fast 10 Kilometer zurück und als ich im Zentrum wieder aus dem Gerät stieg, merkte ich erst wie sehr ich mich verausgabte. Pia lächelte nur als ich rumächzte wie ein alter Mann. Tja, jammern ist eben meine Paradedisziplin und ihre ist es offensichtlich nicht und davor habe ich seit diesem Tag den grössten Respekt.

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