Jene die das hier nur lesen um mich
leiden zu sehen, werden enttäuscht sein, denn es tat diesmal überhaupt nicht
weh. Ausser vielleicht, dass ich schon um 6.30h aus den Federn musste schmerzte
meinen gemütlichkeitssüchtigen Körper un peu. Als ich mich unter der Dusche
durchs Sauber-mach-Routine-Programm ächzte und mich fragte, wie ich mir bloss
diesen frühen Tai Chi Termin aufschwatzen lassen konnte, kam mir Sting in den
Sinn, der zu diesem Thema mal sagte: „You gotta get out of that comfort zone.“ Und
genau das tat ich heute. Doch erst musste ich mich um den richtigen Look
kümmern. Was trage ich bloss zu dieser Tai Chi Lektion? In einer sportlichen
Montur würde ich mich wohl schnell zum Affen machen, denn Tai Chi, mutmasste
ich, ist doch eher was Traditionelles, Schlichtes. Also entschied ich mich für
lange, weisse Baumwoll-Hosen mit einem weissen Shirt. Jetzt sah ich aus wie
Jemand vom Betreuungs-Personal des Unispitals auf dem Weg zur nächsten
Mykonos-Party. Super!
Ich radelte in die Hochschulsportanlage
des ASVZ wo ich ja kürzlich beim T-BOW mein Glück versuchte - und verlor. Ich
wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Versuchen sie mal unbemerkt in eine Tai
Chi Klasse reinzuschleichen. Bei einer laut dröhnenden Aerobics Stunde, kein
Problem aber beim Tai Chi ist das wohl als käme man zu spät zu einer
Beerdigung. Und so kam es dann, dass ich mit Abstand der Erste im
Unterrichtsraum war. Goldig! Nun stand ich da, in meinen weissen Klamotten und
versuchte friedlich zu wirken. Ein paar der eintrudelnden Teilnehmer zeigten
mir ihren ASVZ-Ausweis. Die weisse Kleidung verlieh mir offensichtlich was
Offizielles. Schliesslich kam mein heutiger Tai Chi Meister Patrick Noser dazu
und begrüsste mich freundlich. Er trug kurze, schwarze Radler-Tights und ein
schwarzes Top. Soviel zu meinen Fähigkeiten einen möglichen Dresscode
einschätzen zu können. Patrick zog einen riesigen Vorhang auf und dahinter kam
ein flächendeckender Spiegel zum Vorschein. Das erfreute zum einen den Narzissen
in mir, beleidigte aber gleichzeitig meine Eitelkeit, denn es war ja 8 Uhr
morgens.
Patrick liess uns erst mal stabil
hinstehen. Beine etwas breit, leicht in die Knie, Steiss nach vorne geschoben
und die Arme seitlich leicht angehoben, wie ein Cowboy vor dem Duell, bevor er
abgeknallt wird. In dieser Position machten wir, mit geschlossenen Augen, ein
paar Atemübungen bei denen man sich beim Einatmen nach oben streckt und beim
Ausatmen wieder runter in die Cowboy-Pose zurückkehrt. Danach umarmten wir einen imaginären
Baumstamm, der beim Einatmen an Volumen gewann und streiften einen Vorhang
entlang hoch und runter. Patrick meinte, störende Gedanken aus dem Alltag
sollen wir gleich wieder ins Pfefferland zurückschicken um uns auf die von ihm
gestellten „Aufgaben“ zu konzentrieren. Es half natürlich auch nichts, dass
noch ein paar Nachzügler zu spät zur Klasse stiessen. Während sie versuchten
sich unbemerkt in den Raum zu stehlen, rollte ich theatralisch die Augen.
(Nein, das tat ich natürlich nicht aber mein fieses Ich tats in Gedanken.)
Nach ein paar weiteren Übungen kamen
wir zu der Figur, die ein Tai Chi-Leihe wie ich, als den Klassiker bezeichnen
würde. Wenn ich das richtig aufschnappt habe heisst die Figur „Die Mähne des
Wildpferdes teilen“. Schön, nicht? Es ist eine Übung bei der man mit einem
fliessenden Bewegungsablauf den Angreifer abwehren kann. Man hält in Gedanken einen
grossen Ball vor sich und wehrt in einem Ausfallschritt ab. Erst als Patrick
das Ganze an einem Teilnehmer vorführte, fiel bei mir der Groschen. Man zieht
einen Arm des Angreifers zu sich heran und drückt gleichzeitig mit dem anderen,
gestreckten Arm gegen seine Brust und hebelt ihn über das Bein welches beim
Ausfallschritt nach vorne geht. Ist halt ein bischen wie Judo, einfach für
geistig Intellektuelle.
Das teilen der Mähne des Wildpferdes
gibt’s auch noch in einer sich fortbewegenden Version. Da beschreibt man
eigentlich die gleiche Figur, nur macht man jedes mal einen Ausfallschritt nach
vorn und bewegt sich so laufend und abwehrend durch die gedachte Hafenkneipenschlägerei.
Patrick korrigierte mich ein paar mal weil ich dabei dauernd in die bequemere
Rücklage geriet aber mit laufender Wiederholung striegelte ich die Mähne des
Wildpferdes in einem schönen Flow. Trotzdem sah es bei mir bis zum Schluss einfach
nie so locker aus wie bei Patrick. Ich wirkte eher wie ein argentinischer Tangotänzer
auf Entzug der zum chinesischen Schattenboxen übergelaufen ist.
Vielen Dank Patrick. Du hast mir
gezeigt, dass man mit geschlossenen Augen den totalen Durchblick haben kann. Falls
ich in Zukunft mal auf eine Tai Chi-Gang stossen sollte, die gerade im Begriff
ist eine Horde Skinheads in Zeitlupe zu vermöbeln, werde ich ihnen tatkräftig
zur Seite stehen.
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