Erst auf dem Weg in die Turnhalle
Sihlhölzli wurde mir bewusst, was ich da eigentlich für eine Zirkusnummer
abziehen sollte. Stabhochsprung! Hallo?! Mich ins Stabhochspringen zu schicken
ist etwa so grotesk wie einen Fisch hinter das Steuer eines Glastransporters zu
setzen. Immerhin ist man aber mit der Aussage „Du, ich muss jetzt los, ich gehe
eben noch kurz ins Stabhochspringen“ ein ziemlicher Exot im Zürcher
Alltagstrott. Aber eben, diese wenigen Vorschusslorbeeren sollten das einzig Ruhmreiche
an diesem Unterfangen bleiben.
Marco Aeschlimann, der mutige Mann,
der sich auf die Fahne geschrieben hatte, mir dieses fiese Sportart
beizubringen, steckte im Stau fest. Per Handy gab er durch, ich solle doch
schon mal draussen auf der Aschenbahn zwei Runden joggen. Das nennt man wohl
Beschäftigungstherapie. Auf dem Weg zur Laufbahn traf ich auf einen alten
Bekannten. Der Kugel-Werni, den ein paar vielleicht aus der Diskus-Kolumne kennen,
trieb sein Unwesen statt im Letzigrund nun im Sihlhölzli. Werni berichtete,
dass Marco ihm schon von meinem Stabhochsprung-Training erzählte. Unterdessen
gehört es bei den Sport-Coaches zum guten Ton, den „Wanderpokal“ Midi Gottet
bei sich gehabt zu haben. Nach zwei Runden Lowspeed-Jogging, war ich bereit für
die Turnhalle. Doch Marco war noch nicht da. Statt dessen fand ich dort drei
junge Damen, so um die 20, vor. Deren defensive Körpersprache verriet mir, dass
sie sich fragten, was dieser ältere Herr in der Frauenklasse verloren hatte.
Diese Haltung änderte sich auch nicht als ich in einem Small-Talk herausfinden
wollte, ob man in einer Stunde Stabhochsprung lernen könne. „Das ist wohl eher
unwahrscheinlich.“, war die, für meinen Geschmack, etwas zu ehrliche Antwort.
Um die peinliche Stille in der Halle
etwas zu lindern, machte ich ein paar Alibi-Aufwärmübungen. Die drei Ladies
begannen damit, Sit-ups auf einem Schwedenbarren zu machen. Das war alles gut
und recht aber bevor hier jemand auf die Idee kam, die Sitte zu rufen,
entschloss ich mich, wieder rauszugehen. Ich setzte mich auf eine Bank in die
Frühlingssonne. Das nenn’ ich doch Win-Win. Aufwärmen und faulenzen zu gleich.
Stabhochspringen war eben doch eine feine Sache. Just als es begann bequem zu
werden, stand mir der Kugel-Werni in die Sonne und meinte: „Sodeli, Schluss mit
sünnele, de Stab-Chef isch grad vorg’fahre.“ Der Stab-Chef! Ich kicherte. So
viel Wortwitz hatte ich dem Werni gar nicht zugetraut.
Marco begrüsste mich mit einem Lächeln
auf den Stockzähnen. „Das optimale Alter um Stabhochsprung zu lernen ist 17.“,
sagte Marco, zeigte aufs Frauentrio und drückte mir einen 3,73 Meter langen
Fieberglas-Stab in die zittrige Hand. Ich: “Dann bin hier schon fast drei mal
zu spät dran.“ Pointentusch! Er zeigte mir kurz, wie man den Stab hält und eine
Minute später trabte ich schon, wie der späte Sir Lanzelot, durch die Halle.
Wie in einem Sonntagnachmittags-Ritterfilm schob ich den Stab vor mir her und
zielte auf die imaginäre Mulde im Boden. So sollte ich ein Gefühl fürs Timing
bekommen um den Stab zum rechten Zeitpunkt im Einstichkasten vor der grossen
Käsematte zu platzieren. Bei den Damen sah das alles ein wenig graziöser aus
aber wen wunderts, laut Marco handelte es sich hier um drei Top-Springerinnen.
Eine davon schaffe sogar die 4,18m-Marke. Ich nickte mit einer vielsagenden
Miene, als wüsste ich, dass es sich dabei um eine enorme Höhe handelte. In
Wahrheit, hätte ich jede Höhe durchgenickt. Alles über 2 Meter schien mir
haushoch.
Jetzt nahm Marco den Deckel des
Einstichkastens ab. Trommelwirbel, tata...! Er riet mir, den Stab jetzt etwas
weiter unten zu halten und machte sogleich einen kleinen Demonstrationssprung
vor. Irgendwie sah’s ganz einfach aus. Aber als ich all meinen Mut in die Hose
packte und wie der Ritter der Kokosnuss losrannte, liess ich beim Aufprall auf
den Einstichkasten vor Schreck die „Lanze“ los und landete flachgezogen auf der
Matte. Wäre Marco Uli Hoenes gewesen, hätte er wohl geschrien: „Ja sind wir
denn hier im Mädchenpensionat, oder was?“ Aber Marco lächelte nur gütig. Die
drei Ladies taten, was sie am besten konnten: Sie ignorierten meine Anwesenheit
fremdschämend. Beim zweiten Versuch blieb ich immerhin an der Latte dran, flog
aber auf der falschen Seite des Stabes vorbei. Der dritte Sprung katapultierte
mich endlich rechts an der Latte vorbei und ich flog tatsächlich auf
geschätzten 1,5m und gefühlten 6,14m, mit dem Hintern voran auf die Matte.
Allmählich verlor ich die Angst vor dem Aufprall im Einstichkasten und war
grösstenteils in der Lage den Mikroflug zur Käsematte etwas zu kontrollieren. Die
Ladies flogen wie Federn davon während ich immer mehr meine rechte Leiste, den
Rechten Oberarm und meinen linken Oberschenkel in Rente schickte. Nach jedem
Sprung wurden wir von Marco bewertet und korrigiert. Bei mir fielen die
Korrekturen immer kürzer aus. Marco war offensichtlich langsam am Ende mit
seinem Latein und ich am Ende meiner Kräfte. Fazit: Wenn Talent fürs
Stabhochspringen Leute wäre, wäre ich Lichtenstein.
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