Freitag, 24. Januar 2014

Midi beim Stabtiefsprung


Erst auf dem Weg in die Turnhalle Sihlhölzli wurde mir bewusst, was ich da eigentlich für eine Zirkusnummer abziehen sollte. Stabhochsprung! Hallo?! Mich ins Stabhochspringen zu schicken ist etwa so grotesk wie einen Fisch hinter das Steuer eines Glastransporters zu setzen. Immerhin ist man aber mit der Aussage „Du, ich muss jetzt los, ich gehe eben noch kurz ins Stabhochspringen“ ein ziemlicher Exot im Zürcher Alltagstrott. Aber eben, diese wenigen Vorschusslorbeeren sollten das einzig Ruhmreiche an diesem Unterfangen bleiben.

Marco Aeschlimann, der mutige Mann, der sich auf die Fahne geschrieben hatte, mir dieses fiese Sportart beizubringen, steckte im Stau fest. Per Handy gab er durch, ich solle doch schon mal draussen auf der Aschenbahn zwei Runden joggen. Das nennt man wohl Beschäftigungstherapie. Auf dem Weg zur Laufbahn traf ich auf einen alten Bekannten. Der Kugel-Werni, den ein paar vielleicht aus der Diskus-Kolumne kennen, trieb sein Unwesen statt im Letzigrund nun im Sihlhölzli. Werni berichtete, dass Marco ihm schon von meinem Stabhochsprung-Training erzählte. Unterdessen gehört es bei den Sport-Coaches zum guten Ton, den „Wanderpokal“ Midi Gottet bei sich gehabt zu haben. Nach zwei Runden Lowspeed-Jogging, war ich bereit für die Turnhalle. Doch Marco war noch nicht da. Statt dessen fand ich dort drei junge Damen, so um die 20, vor. Deren defensive Körpersprache verriet mir, dass sie sich fragten, was dieser ältere Herr in der Frauenklasse verloren hatte. Diese Haltung änderte sich auch nicht als ich in einem Small-Talk herausfinden wollte, ob man in einer Stunde Stabhochsprung lernen könne. „Das ist wohl eher unwahrscheinlich.“, war die, für meinen Geschmack, etwas zu ehrliche Antwort.

Um die peinliche Stille in der Halle etwas zu lindern, machte ich ein paar Alibi-Aufwärmübungen. Die drei Ladies begannen damit, Sit-ups auf einem Schwedenbarren zu machen. Das war alles gut und recht aber bevor hier jemand auf die Idee kam, die Sitte zu rufen, entschloss ich mich, wieder rauszugehen. Ich setzte mich auf eine Bank in die Frühlingssonne. Das nenn’ ich doch Win-Win. Aufwärmen und faulenzen zu gleich. Stabhochspringen war eben doch eine feine Sache. Just als es begann bequem zu werden, stand mir der Kugel-Werni in die Sonne und meinte: „Sodeli, Schluss mit sünnele, de Stab-Chef isch grad vorg’fahre.“ Der Stab-Chef! Ich kicherte. So viel Wortwitz hatte ich dem Werni gar nicht zugetraut.

Marco begrüsste mich mit einem Lächeln auf den Stockzähnen. „Das optimale Alter um Stabhochsprung zu lernen ist 17.“, sagte Marco, zeigte aufs Frauentrio und drückte mir einen 3,73 Meter langen Fieberglas-Stab in die zittrige Hand. Ich: “Dann bin hier schon fast drei mal zu spät dran.“ Pointentusch! Er zeigte mir kurz, wie man den Stab hält und eine Minute später trabte ich schon, wie der späte Sir Lanzelot, durch die Halle. Wie in einem Sonntagnachmittags-Ritterfilm schob ich den Stab vor mir her und zielte auf die imaginäre Mulde im Boden. So sollte ich ein Gefühl fürs Timing bekommen um den Stab zum rechten Zeitpunkt im Einstichkasten vor der grossen Käsematte zu platzieren. Bei den Damen sah das alles ein wenig graziöser aus aber wen wunderts, laut Marco handelte es sich hier um drei Top-Springerinnen. Eine davon schaffe sogar die 4,18m-Marke. Ich nickte mit einer vielsagenden Miene, als wüsste ich, dass es sich dabei um eine enorme Höhe handelte. In Wahrheit, hätte ich jede Höhe durchgenickt. Alles über 2 Meter schien mir haushoch.

Jetzt nahm Marco den Deckel des Einstichkastens ab. Trommelwirbel, tata...! Er riet mir, den Stab jetzt etwas weiter unten zu halten und machte sogleich einen kleinen Demonstrationssprung vor. Irgendwie sah’s ganz einfach aus. Aber als ich all meinen Mut in die Hose packte und wie der Ritter der Kokosnuss losrannte, liess ich beim Aufprall auf den Einstichkasten vor Schreck die „Lanze“ los und landete flachgezogen auf der Matte. Wäre Marco Uli Hoenes gewesen, hätte er wohl geschrien: „Ja sind wir denn hier im Mädchenpensionat, oder was?“ Aber Marco lächelte nur gütig. Die drei Ladies taten, was sie am besten konnten: Sie ignorierten meine Anwesenheit fremdschämend. Beim zweiten Versuch blieb ich immerhin an der Latte dran, flog aber auf der falschen Seite des Stabes vorbei. Der dritte Sprung katapultierte mich endlich rechts an der Latte vorbei und ich flog tatsächlich auf geschätzten 1,5m und gefühlten 6,14m, mit dem Hintern voran auf die Matte. Allmählich verlor ich die Angst vor dem Aufprall im Einstichkasten und war grösstenteils in der Lage den Mikroflug zur Käsematte etwas zu kontrollieren. Die Ladies flogen wie Federn davon während ich immer mehr meine rechte Leiste, den Rechten Oberarm und meinen linken Oberschenkel in Rente schickte. Nach jedem Sprung wurden wir von Marco bewertet und korrigiert. Bei mir fielen die Korrekturen immer kürzer aus. Marco war offensichtlich langsam am Ende mit seinem Latein und ich am Ende meiner Kräfte. Fazit: Wenn Talent fürs Stabhochspringen Leute wäre, wäre ich Lichtenstein.

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